Adolf Glaßbrenner - Altberliner Humor

Adolf Glaßbrenner - Altberliner Humor

ADOLF GLASSBRENNER - 1810-1876
Altberliner Humor

DIE MENAGERIE
Breese - Walter Richter-Reinick
Karoline, seine Frau - Myriam Sello-Christian
August, deren Sohn
Der Wärter - Norbert Christian
Buchdrucker Krumpel - Werner Trögner

BERLINER GUCKKÄSTNER
Der Guckkästner - Norbert Christian
Dorothea, seine Frau - Myriam Sello-Christian
Der Gendarm - Walter Richter-Reinick
Der Schuster - Fritz-Ernst Fechner
Erster Junge - Dietmar Richter-Reinick
Zweiter  Junge - Werner Trögner

Regie: Theodor Popp

„Berliner Witz, du bist kein bloßer dummer Junge, du bist das Genie Berlins, der souveräne Geist der Bevölkerung. Wenn du deiner selbst bewußt wirst, so kannst du es zu etwas bringen und sozusagen ein Mann bei der Spritze werden. Du mußt dich nur gewöhnen, deine Blicke höher und über die sogenannten Kellerhälse der Häuser hinaus zu richten. Du mußt dich um Gott und die Welt, zuletzt auch ein wenig um die Politik und Geschichte kümmern."
(Adolf Glaßbrenner)

Diese Zeilen richtet Adolf Glaßbrenner an das Volk Berlins, das er liebt und an dessen gesunde Kraft und treffenden Mutterwitz er glaubte. Selbst ein Kind dieser Stadt — Adolf Glaßbrenner wurde am 27. März 1810 in der Leipziger Straße zu Berlin geboren — beobachtete er von frühester Jugend an mit wachem Verstand und offenem Herzen die Menschen seiner Umwelt, beschäftigte sich mit ihren Sorgen und Nöten, belauschte sie in Wort und Gebärde und nahm mit seinem angeborenen Sinn für Witz und Satire ihren ursprünglichen Humor auf, mit dem sich ein großer Teil des Volkes gegen Hunger und bittere Armut wehrte. In immer stärkerem Maße entwickelte und verschärfte sich das Empfinden des jungen Glaßbrenner für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in der Gesellschaftsform   seiner  Zeit  und  stellte  ihn von Anbeginn seines publizistischen Schaffens auf die Seite der Armen, von der Willkür eines despotischen Staates Geprügelten. Mit dem ihm eigenen Humor die gesunde Kraft und Stärke des Witzes der Berliner erkennend, benutzte Glaßbrenner eben diesen, um die Menschen — in ihrer Sprache zu ihnen sprechend — aufzurütteln, ihr unwürdiges Dasein nicht als ein vom „Schicksal" gegebenes hinzunehmen, sondern sich dagegen zur Wehr zu setzen — ihr Leben zu verändern.
Glaßbrenner sagte von sich, daß er „mit heiteren Farben schildere, wo man die Feder eigentlich in Tränen tauchen müßte. Er schrieb einmal: „Erst wenn der Ernst witzig wird, hat er seine größte  Kraft erreicht."
Beherrschte auch Adolf Glaßbrenner wie kaum ein zweiter die Kunst, in jeglicher Form des politischen Witzes seinem Volk wenigstens teilweise die Wahrheit zu sagen — wandte er auch alle Register der Parodie, des Witzes, des Humors, der Ironie und Satire in geschicktester Weise an und nutzte alle ihre Möglichkeiten — so konnte doch auch er nicht dem Zugriff der eifrig wachenden Zensur des absolutistischen Polizeistaates entgehen. Viele seiner Publikationen fielen ihr zum Opfer, und ihr Schöpfer wurde aus seinem geliebten Berlin verbannt. So erging es Glaßbrenner zu seinen Lebzeiten — und seinem Werk war durch Jahrzehnte nach seinem  Tode  kein viel   besseres Schicksal bestimmt. Er, dessen Schaffen großen Anteil hat an dem Erwachen seines Volkes in der Revolution von 1848, ging in das Denken späterer Generationen ein als der humorige Berliner Volksdichter — der Vater des „Eckensteher Nante" und vieler lustiger Volkstypen — denn weder zur Aera der Weimarer Republik, noch zur Zeit des „Tausendjährigen Reiches" ist der fortschrittliche revolutionäre Gehalt seiner Werke beliebt gewesen. So wurde das eigentliche Wesen dieses echten Dichters des Volkes, die sein Leben bewegende und bestimmende Aufgabe mit diesem Teil seiner Werke einfach unterschlagen und somit Generationen vorenthalten. Erst dem humanistischen Staat — der jungen Deutschen Demokratischen Republik — blieb es vorbehalten, umfassend den wahren Adolf Glaßbrenner in allen seinen überlieferten Werken den Menschen aufzuzeigen, nahezubringen und zu würdigen. Und sein von Herzen zu Herzen überspringender Humor dürfte es leicht machen, ihm endlich den Platz in der Literatur anzuweisen, der ihm immer zustand und ihn endlich zu dem Liebling seines Volkes werden zu lassen, zu dem er sprach, das er liebte und für das er litt.
Dazu beizutragen war ein gutes Anliegen unseres VEB Deutsche Schallplatten in Verbindung mit dem Schauspieler Norbert Christian, dem einmal als gebürtigen Berliner — zum anderen durch seinen echten Sinn für Humor und Satire der Dichter Adolf Glaßbrenner von Jugend an zutiefst am Herzen lag.
Zwei große Schallplatten sind hergestellt worden: die hier vorliegende zeigt vornehmlich die humorige Seite Glaßbrenners, den einmaligen Schilderer echter Berliner Volkstypen und der Atmosphäre des .alten" Berlin seiner Epoche.
In der köstlichen „Menagerie" parodiert Glaßbrenner in witziger Weise auch die niederste Stufe des Spießbürgertums jener Zeit — nicht ohne auch hier kleine versteckte politische Spitzen anzubringen — und die herrliche Type des „Guckkästners" zeigt den Einfallsreichtum und Humor eines Kriegsinvaliden, sich mit der eigenen Herstellung .historischer' Zeichnungen und Bildern und den dazugehörigen „Vorträgen" an den Ecken Berlins ein paar Groschen zu verdienen. Die Form, die hier Glaßbrenner gefunden hat, historische Ereignisse vergangener Epochen in parodistischer und karikaturistischer Form zu widerspiegeln, könnte man mit großer Kleinkunst — mit der höchsten Stufe des literarischen Kabaretts bezeichnen. In beiden Szenen sind mit wenigen markanten. Strichen Berliner Volkstypen gezeichnet — ihr ursprünglicher Witz, ihre Schlagfertigkeit, ihr heller Verstand und die echte Berliner „Kodderschnauze". Doch hören Sie selbst und haben Sie Ihren Spaß und Ihre Freude an dieser Aufnahme.
Myriam Sello-Christian