Auswahl für den Literaturunterricht, Klassen 9 und 10
Aus der bürgerlichen, proletarisch-revolutionären und sozialistischen Literatur des 19.- und 20. Jahrhunderts
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1. Erich Kästner
Kennst du das Land ...
Aus „Herz auf Taille" (1928)
Komposition nach populären Melodien
Ernst Busch, Gesang
Walter Olbertz, Klavier
2. Erich Kästner
Primaner in Uniform
Aus „Ein Mann gibt Auskunft" (1930)
Sprecher: Winfried Wagner
3. Erich Kästner
Sachliche Romanze
Aus „Lärm im Spiegel" (1928)
Komposition: Henry Krtschil
Gisela May, Gesang
Leitung: Henry Krtschil
4. Erich Kästner
Der Handstand auf der Loreley
Aus „Gesang zwischen den Stühlen" (1932)
Sprecher: Winfried Wagner
5. Erich Kästner
Modernes Märchen (um 1930)
Komposition: Peter Fischer
Bearbeitung: Gerhard Kneifel
Gisela May, Gesang
Studio-Orchester
Leitung: Henry Krtschil
6. Erich Weinert Bänkelballade vom Kaiser Nero (1933)
Sprecher: Robert Trösch
7. Erich Weinert
Das Lied vom roten Pfeffer (1933)
Sprecher: Robert Trösch
8. Erich Weinert Genauso hat es damals angefangen (1946)
Sprecher: Robert Trösch
9. Friedrich Wolf
Der Sprichwort-Song
Aus dem Agitprop-Stück
„Wie stehen die Fronten?" (1932)
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10. Hans Marchwitza
Von der ersten Arbeiterkorrespondenz zur ersten Kurzgeschichte (veröffentl. 1929)
Sprecher: Norbert Christian
11. Beda-Löhner/Leopoldi
Buchenwaldlied (1938)
Massenchor a capella
Leitung: Gerhard Frost
12. Bertolt Brecht
Wenn die Haifische Menschen wären (1949)
Sprecher: Martin Flörchinger
13. Bertolt Brecht
An meine Landsleute (1949)
Sprecher: Helene Weigel
14. Bertolt Brecht
Lob des Kommunismus (1931)
Sprecher: Helene Weigel
15. Louis Fürnberg
Unser Lied (1927)
Sprecher: Hans-Peter Minetti
16. Louis Fürnberg
Lebenslied
Sprecher: Helmut Müller-Lankow
17. Johannes R. Becher
Schritt der Jahrhundertmitte (1958)
(Seid euch bewußt)
Komposition: Hanns Eisler
Ernst Busch, Gesang
Großes Rundfunk-Orchester Leipzig
Leitung: Adolf Fritz Guhl
18. Kuba
... gehört dem Volk
Komposition: Jörn Fechner
Mitglieder des Oktoberklubs (aus KB 6452, vgl. Scho 6703/II)
19. Werner Bräunig
Du, unsere Zeit
Komposition: Gerd Natschinski
Orchester Gerd Natschinski
Gisela May, Gesang
Die neunzehn Titel auf dieser Schallplatte gehören zum Textangebot des Literaturunterrichts der Klassen 9 und 10. Die Auswahl vereint Gedichte, Lieder und auch Kurzprosa, für die der direkte und polemische Zugriff zu gesellschaftlichen Problemen, zu aktuellen politischen Fragen kennzeichnend ist. Ihre Aktualität ist jedoch nicht an die Entstehungszeit der Texte gebunden.
Auf diese Auswahl kann in beiden Klassen unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten zurückgegriffen werden: bei der Vorstellung eines Autors odereiner ergänzenden Betrachtung zu Werk und Leben, bei stofflich-thematischen Vergleichen, bei Überlegungen zu Besonderheiten literarischer Formen und ihren Wirkungsmöglichkeiten, bei der Charakterisierung und Würdigung des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller oder beim Nachdenken über Ausdrucksund Gestaltungsweisen. Auch unter dem Blickwinkel der Interpretation, auch der Vertonung, vor allem aber des Vortrags kann wiederholtes Zuhören Impulse für den produktiven Umgang mit Texten geben.
Die ausgewählten Texte sind überwiegend in derzeit der Weimarer Republik entstanden und aufschlußreiche Zeugnisse dafür, wie in der Literatur die Konflikte und Kämpfe derzeit ihren Ausdruck fanden und auf welche Weise „eingreifendes Denken" (Brecht) künstlerisch Gestalt annehmen kann. Die Texte belegen den ideologischen Charakter von Literatur wie auch-bei ähnlicher politischer Grundhaltung der Autoren-die Unverwechselbarkeit ihrer literarischen Handschrift.
Die progressiven Schriftsteller, unter ihnen beispielsweise die sozialistischen, wandten sich in den 20er und 30er Jahren gegen soziale Mißstände, gegen politischreaktionäre Haltungen und Maßnahmen. Sie entlarvten die nationalistischen Phrasen politischer Parteien ebenso wie die spießbürgerliche Gesinnung. Sie setzten sich mit dem aufkommenden Faschismus auseinander und engagierten sich für humanistische Werte und Ideale, für entscheidende politische Veränderungen. Schriftsteller wie Brecht, Fürnberg, Weinert und Wolf verstanden darunter die Schaffung sozialistischer Verhältnisse. Einige Texte (Erich Weinerts „Genauso hat es damals angefangen", Bertolt Brechts „Wenn die Haifische Menschen wären", Johannes R. Bechers „Schritt der Jahrhundertmitte", Louis Fürnbergs „Lebenslied" sowie die Gedichte von Kuba und Bräunig) sind in den Jahren nach der Zerschlagung des Faschismus 1945 entstanden, manche in den ersten Jahren des sozialistischen Aufbaus. Sie dokumentieren ein zielgerichtetes Engagement unter veränderten historischen Bedingungen und bezogen ihre starke Wirkung aus der Einheit von Besinnung und Tat. Die Begegnung mit diesen Texten ist für unsere Schüler eine Begegnung mit Literatur aus einer schon weit zurückliegenden Zeit, die sie als Vorgeschichte unserer Gegenwart erfahren sollen, als etwas, was für uns heute bedeutsam ist, weil darin lebenswichtige Erfahrungen weitergegeben werden. Das geschieht freilich auf eine Weise, zu der nicht in jedem Falle alle Schüler sogleich Zugang finden, denn nicht wenige Texte sind von sati rischer Art, sie treiben Vorgänge und Verhaltensweisen gleichsam auf die Spitze, um die Kritik auf den Punkt zu bringen. Widerspruchsetzungen dieser Art begegnen uns für ganz verschiedene Lebensbereiche und mit unterschiedlicher Schärfe in den Aussagen. Manche Texte sind vom Suiet und den aufgegriffenen Motiven für junge Leser nicht sofort durchschaubar, eher schon, wenn der Gestus gehört und durch die musikalische und gesangliche Interpretation erfaßt werden kann.
Die Auswahl stellt mehrere Texte des Schriftstellers Erich Kästner (1899-1974) vor, eines Meisters der „Gebrauchslyrik", auch durch seine erfolgreichen Jugendbücher „Emil und die Detektive" (1928), „Pünktchen und Anton" (1930), „Das doppelte Lottchen" (1949) berühmt geworden. Die Texte zeigen Kästner als einen Autor mit lyrischem Witz, der treffsicher Pointen zu setzen weiß und sich geschickt volkstümlicher Formen bedient. Die Nähe zu Autoren wie Morgenstern und Ringelnatz, aber auch zu Tucholsky ist unübersehbar. Kästners Ironie, sein spezifischer Humor erzielten und erzielen beim Publikum große Wirkungen, auch wenn er in seiner Opposition oft nicht konsequent genug ist. Kästner hat selbst 1958 in einer Rede „Über das Verbrennen von Büchern" rückblickend-auch selbstkritisch - geäußert:
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat."
Erich Kästner, der Moralist, hat seine Haltung erklärt aus drei „unveräußerlichen Forderungen", denen er zugetan sei: „nach der Aufrichtigkeit des Empfindens, nach der Klarheit des Denkens und nach der Einfachheit in Wort und Satz".
Doch der Moralist Kästner wußte auch, daß er sich zwischen die Stühle setzt; ein Moralist füllt seinen Posten aus so gut er kann: „Sein Wahlspruch hieß immer und heißt auch jetzt: Dennoch!" (Erich Kästner im Vorwort zur Neuauflage (1950) seines Buches „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" (1931).
Wie vielfältig die Inhalte und Formen dieser „eingreifenden" Literatursein können, zeigen auf besondere Weise die Beispiele von Weinert, Brecht und Friedrich Wolf, die zum vollen Verständnis des biographischen und historischen Kontextes erforderlich sind. Die Interpretation durch Ernst Busch bzw. durch Helene Weigel hebt diese Besonderheiten hervor; sie ist zugleich ein Stück Kulturgeschichte.
Mit „Lebenslied" von Louis Fürnberg ist ein Gedicht zu hören, das uns den sensiblen und tapferen Dichter nahebringt, dessen Freundlichkeit von allen, die ihn kannten, gerühmt wurde.
Die nachfolgenden Gedichte „Schritt der Jahrhundertmitte" (Becher), gehört dem Volk" (Kuba), „Du, unsere Zeit" (Bräunig) gelten mit ihrem aufklärerisch-appellhaften Gestus als charakteristische Gedichte für die 50er und 60er Jahre und sind über ihre Entstehungszeit hinaus lebendig geblieben. Kubas Gedicht ist in der Vertonung durch Hanns Eisler fast schon zu einem „Volkslied" geworden. Hier ist erreicht, wovon Johannes R. Becher als einem erstrebenswerten Ziel für lyrisches Dichten sprach, daß Volksverbundenheit und Volkstümlichkeit eins sind: „Und was ist das Volkstümliche anderes als das beste Menschliche, das Innigst-Menschliche, das echt Poetische?"
Prof. Dr. sc. Wilfried Bütow
Zur „Bänkelballade vom Kaiser Nero" berichtet Erich Weinert, der nach 1933 seine Gedichte im Saargebiet vortrug, „dem einzigen Flecken Deutschlands, über das Hitler damals noch nicht verfügen konnte. Nach einem Vortragsabend wurde er von einem höheren Polizeioffizier vorgeladen, der ihm mitteilte, daß eine Eingabe aus Berlin vorliege, ihm das Auftreten zu verbieten, weil er Mitglieder der Reichsregierung verächtlich mache:
„Wieso", fragte ich, „wird in der Ballade vom Nero ein Mitglied der Reichsregierung verächtlich gemacht?" „Sie scherzen", erwiderte der Polizeichef, „die Analogie mit Herrn Göring liegt doch auf der Hand."
„Ja, wenn Sie das hineindichten wollen", sagte ich, „ich habe nichts dagegen. Aber Sie werden zugeben, daß dann das politische Moment nicht im Gedicht liegt, sondern erst durch den Hörer hineingelegt wird." Er lachte. „Sie sollen in diesem Fall recht haben. Aber machen Sie uns keine diplomatischen Schwierigkeiten. Sonst bin ich gezwungen, einzuschreiten."
Auswahl und pädagogische Fachberatung: Prof. Dr. sc. Wilfried Bütow
Titelseite: Erich Weinert auf einer improvisierten Kundgebung in Krampe (Foto: ADN/ZB)
Redaktion: Dr. Angela Rückert
Als Unterrichtsmittel zugelassen durch das Ministerium für Volksbildung, Hauptverwaltung Unterrichtsmittel und Schulversorgung.
Entwickelt von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, Institut für Unterrichtsmittel.
Der Humor
Aus der großdeutschen Kunstlehre
Der Humor ist der Regenschirm der Weisen und insofern unsoldatisch.
Daß wir ihn trotzdem öffentlich preisen, scheint problematisch.
In praxi ist's gleichgültig, was wir meinen.
Denn wir haben ja keinen.
Erich Kästner