Guesch Patti - Labyrinthe

Guesch Patti - Labyrinthe

Let be must the queen

Triangle

Etienne

Backstage D´une Star

Bon anniversaire

Faits divers

Roule... tu dis

Culture

Cul cul clan

Manque un detail

Tout seul

C´est pas assez

„Etienne, Etienne, Etienne . . .", wer kennt sie nicht, die gehauchte Sinnlichkeit dieses internationalen Superhits, der im Jahr seines Erscheinens, 1988, die Popcharts ganz Westeuropas beherrschte, der in keinem Rundfunkmusikprogramm und in keiner Diskothek fehlen durfte, und der andererseits die französische Popmusik auch in kommerziellen Größenordnungen wieder ins Gespräch brachte. Die Vorabauskopplung machte Appetit auf das LP-Debüt einer außergewöhnlichen Künstlerin, Guesch Patti. Sie ist alles andere als ein unfertiges, kleines Sternchen, das sich mühsam von Hit zu Hit und von Produzent zu Produzent hangelt, um irgendwann einmal groß raus-zu-kommen. Das beginnt damit, daß sie die 35 bereits überschritten hat. Nun wirkt es auf den einen oder anderen gewiß in höchstem Maße uncharmant, die Lebensjahre einer Künstlerin ins Spiel zu bringen. Ich halte es einfach für notwendig, darauf hinzuweisen, bringen sie doch letztendlich Lebenserfahrung und Reife auf die LP „Labyrinthe". Wie gesagt, Patricia Porasse, so der bürgerliche Name von Guesch Patti, ist kein heuriges Häschen mehr. Bis zu ihrem erfolgreichen Plattenstart arbeitete sie mehr oder weniger erfolgreich als Tänzerin, eine Tatsache, die ihr nun zugute kommt, gibt sie ihr doch die Möglichkeit, die Formen körperlichen Ausdrucks mit den außerordentlich vielfältigen Möglichkeiten ihrer Stimme zu verbinden. Guesch Patti kann einfach alles. Sie kann laut und leise singen, rau brüllen und sanft flüstern, sich expressiv aber auch zurückhaltend äußern. Die Videovermarktung ihres ersten Hits „Etienne" machte sie zum Sexsymbol. Beiträge der Regenbogenpresse taten ein übriges, man sagte ihr Skandale und Affären nach, ungewollt oder wohlkalkuliert? ich entscheide mich für die letztere Variante. Denn damit ist Guesch Patti natürlich im Gespräch und im Geschäft. Daraufhin angesprochen sagte sie einmal: „Wem wäre geholfen, wenn ich ein kleines, nettes Video machte, das aber jeden kalt läßt. Da sind mir Empörung und Begeisterung schon lieber." Und so überschlagen sich die Gerüchte. Guesch Patti gilt als männerverschlingendes Ungeheuer, in ihrer Garderobe will sogar einer mal ein Poster mit einem männlichen Geschlechtsteil gesehen haben, dementiert wurde nichts dergleichen. Alles paßt zueinander, Image, Styling und Performance, die perfekte Vermarktung von Kunst und Künstler.
Und so ganz nebenbei, verfolgt man interpretatorische Nuancen, musikalische Einfälle und poetische Tiefe der Texte ins Detail, erschließt sich Guesch Patti als gefühlvolle, kluge und geschmackvolle Künstlerin. Für die Produktion der LP standen ihr exzellente Musikerkollegen zur Seite: der schwarze Gitarrist Jam' Ba, der temperamentvolle Trommler Yvo Abadi, der Bassist Misko, ein Ruhepol im musikalischen Konzept sowie der hintergründige, effektsichere Keyboarder Lucien Athanase. Man agiert mit „richtigen" Bläsern und Streichern, favorisiert Handgemachtes eindeutig gegenüber elektronischen Zugaben. Thema Nummer 1 auf der LP „Labyrinthe" ist natürlich Thema Nummer 1. Guesch Patti liebt in allen Variationen, hingebungsvoll und sinnlich in „Etienne", aus dem Blickwinkel eines Groupies in „Backstage D'une Star", enttäuscht und verbittert in „Bon Anniversaire" („Alles Gute zum Geburtstag"). Jedoch ist die Liebe nicht das einzige zwischenmenschliche Thema, das hier angeschnitten wird. In „Cul Cul Clan" spielt die Doppelmoral der „Besseren Gesellschaft" eine Rolle. Schon die Titelzeile, ein Wortspiel aus „Ku Klux Klan" und „Cul" - Arsch, Hintern, das man frei in etwa „Klan der weißen Ärsche" übersetzen könnte, deutet darauf hin.
In „Culture", poetische Überlegungen zur Arbeit des Künstlers: „Hingeworfen an den Rand des Menschen, sein Reichtum ein Metronom. Bleibt am Rande der Klippe der Künstler, frei denkend. Wie man sie bewegt, die Lichter, jedoch man bewegt die Grenzen."
Um den Generationskonflikt zwischen Mutter und Tochter geht es in „Manque Un Detail" - ,Es fehlt ein Detail'. „Weißt Du, Mama, zum Talent braucht man Mumm. Alles,
was ich tue ist Dir nicht gut genug. Aber das wird nicht mehr lange so gehen, daß Du mir ständig auf die Füße trittst.... Oh, Mama, Deine Ratschläge ohnesgleichen, Worte wie Sonne, die werden Dir noch vergehen. Es fehlt noch ein Detail - ich muß gehn!"
„Faits Divers"- „Verschiedenes", setzt sich kritisch mit dem Verhältnis des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt auseinander:
„Wie aus der Rubrik Verschiedenes Gibt es Staub in den Flüssen bis zum Meer. Er ist gestern gestorben, der schöne Sonnenvogel übertüncht, elend, streng.
Ich habe meine Mutter meine Erde herausreißen sehen, meinen Zorn essen und meine Gebete beweinen. Ich habe meinen Vater meine Erde zertreten sehen, meinen Zorn ausspucken, um meine Gebete schreien. Schöne Autorität mit Standrecht. Die Ideen durcheinander, aber immer eine saubere Weste behalten. Was macht Ihr denn, Ihr Bande von Gebildeten? Die Zeit hat sich gewandelt, ich möchte atmen." Soweit nur einige Beispiele aus der Themenvielfalt dieser außergewöhnlichen LP „Labyrinthe", einer Konzeptplatte, die uns Guesch Patti als aufreizend sinnliche, aber auch als anrührend gefühlvolle Künstlerin vorstellt. Eine Meilenstein-LP der französischen Popmusik.
Gerhard Kegel (1990)