Hörspiele 1
Hörspiele 1
Hörspiele 1
HÖRSPIELE 1
1. Seite
Ich esse einen süßen Apfel von Jakow Segel
Darsteller:
Wolfgang Jakob (Er/„Mischa”)
Jutta Wachowiak (Sie/„Olessja"-Schura)
Heinz-Martin Benecke (Sprecher)
In weiteren Rollen:
Marlies Reusche, Annemarie Hentschel, Konrad Gericke, Dieter Bellmann
Dramaturg: Barbara Kuna
Toningenieur: Erika Schüttauf
Regie: Günter Bormann
Erstsendung: 8. 7.1970
... daß ich verstanden werde
von Gerhard Dallmann
Dramaturg: Gerhard Rentzsch
Regie: Horst Liepach
Erstsendung: 8. 6.1972
Darsteller:
Achim Petry (Vater)
Helga Raumer (Mutter)
Normann Greyer (Werner)
H. R. Engel (Heinz)
2. Seite Die Aushilfshochzeit
von Erich Schlossarek
Dramaturg: Peter Goslicki
Toningenieur: Jutta Kaiser
Regie: Fritz Göhler
Erstsendung: 13.4.1975
Darsteller:
Marga Legal (Martha)
Kurt Böwe (Josef)
Werner Höhne (Sprecher)
In der Galerie
von Gerhard Rentzsch
Toningenieur: Jürgen Meinel
Regie: Fritz Göhler
Erstsendung: 19.10 1971
Darsteller:
Eugen Eschner (Junger Mann)
Madeleine Lierck (Studentin)
Barbara Witte (Frau)
Tessy Fehring (Ältere Frau)
In weiteren Rollen: Mechthild Ender, Helmut Pietsch
Ein Fernsprecher klingelt. Der Hörer wird abgenommen, und eine Mädchenstimme sagt: „Ich esse einen süßen, saftigen Apfel.” Ein Irrtum? Ein Spaß? In jedem Falle - eine glänzende Hörspielexposition, die Erwartung weckt, Aufmerksamkeit fordert. Der Zuhörer am Radioapparat ist ebenso neugierig (und ebenso ratlos) wie Mischa, der nur erfährt, daß die Anruferin Schura (oder Sonja oder Alexandra oder Olessja) heißt, daß sie sechzehn - fast sechzehn - Jahre alt ist und die Oberschule besucht. Irgendwo in Moskau.
Die nachfolgenden Gespräche lassen keinen Zweifel aufkommen: Hier geht es um das ach-so-beliebte Telefonspiel, das seit den Tagen des Johann Philipp Reis nichts von seinem Reiz verloren hat. Jakow Segel - ein bedeutender sowjetischer Filmautor und -regisseur -kostet die Situation aus. Das Mädchen kokettiert mit dem fremden Gesprächspartner; und der unternimmt unbeholfene Versuche, dem Mädchen mit der angenehmen Stimme sein kleines Geheimnis zu entreißen. Eine liebenswürdige und liebenswerte Idylle. Doch in sie hinein nennt der Sprecher ein Datum, das die Szenerie jäh verändert: Ende Juni 1941.- Krieg. Überfall faschistischer Truppen auf sowjetisches Land. Auch Mischa wird Soldat. „Sie gehen - in den Krieg?" fragt ihn Schuras Mutter; eine Frage, die ihn unwirklich, fast etwas komisch anmutet
Das Spiel ist unterbrochen, nein: es ist unwiderruflich abgebrochen, denn das letzte Telefonat, in dem der heimgekehrte Mischa noch einmal mit Schura Gradowa - jetzt Semzowa - spricht, macht gerade durch die formalhafte Wiederholung des Eröffnungssatzes bewußt, was sich seither ereignet hat.
Segels Sechzehn-Minuten-Geschichte besitzt alle Vorzüge eines guten Hörspiels. Der Autor erzählt eine kleine, sehr intime Episode, mit der er - ohne die Stimme zu heben - an ein furchtbares Kapitel jüngster Geschichte erinnert. Die historischen Ereignisse - Krieg und Nachkrieg - treten kaum direkt ins Bild. Wie in den Stücken der Griechen das Wissen um den Mythos vorausgesetzt wurde, so setzt Segel das Wissen um den Krieg und seine Folgen voraus. Eigenes Erleben und Geschichtsschreibung, aber auch eine lange Reihe bedeutender Kunstwerke (erinnert sei nur an den thematisch verwandten Film DIE KRANICHE ZIEHEN) haben soviel an historischer „Information" vermittelt daß sich der Hörspielautor - ein Vierteljahrhundert nach dem Krieg - darauf berufen kann. Segel will geschichtliche Kenntnisse nicht transponieren, sondern mobilisieren. Er fordert das Nachdenken des Hörers heraus, . indem er dessen Vor-Wissen in Anspruch nimmt und historisches Geschehen am - stofflich und thematisch sehr begrenzten - individuellen Fall reflektiert.
Dem großen, „öffentlichen" Vorgang des Bühnendramas (der die Öffentlichkeit des Theaters fordert und legitimiert) ist der intime Charakter des Hörspiels (der mit der nicht-öffentlichen Rezeption durch den Hörer korrespondiert) oft gegenübergestellt worden. Wieweit eine strenge Scheidung möglich und zulässig ist, kann hier nicht untersucht werden. Unterschiede - die bis in den sprachlichen Gestus hineinreichen - sind zweifellos vorhanden. Sie sind an Segels Hörspiel exemplarisch ablesbar. Der Hörer - durch keine Rampe, durch keine räumliche Distanz vom dargestellten Vorgang getrennt - rückt unmittelbar an die sprechenden Personen heran: Er wird ihr stummer Gesprächspartner, der einbezogene Dritte. Daß Segel das Gespräch der beiden jungen Menschen auf einen Telefon-Dialog beschränkt gibt dem Stück einen zusätzlichen Reiz. Der Zuhörer - gleichsam mit dem dritten Apparat am Ohr - befindet sich in derselben Situation wie Mischa und Olessja. Er ist auf das akustische „Porträt” der Personen angewiesen; er ist - wie Mischa - gezwungen, sein Bild des Mädchens zu formen. Verzicht auf die Möglichkeiten optischer Darstellung bedeutet hier also keinen Verlust, keine Reduzierung; er setzt die Phantasie des Hörers, seine schöpferische Imagination frei. (Man stelle sich nur probehalber vor, die Szene würde tatsächlich vor unseren Augen ablaufen: Der Zuschauer wäre sogleich in die Rolle des besserwisserischen Betrachters gerückt, der Mischas Vermutungen über Schuras Aussehen von außen beobachtet. Das ästhetische Vergnügen käme zu Schaden!)
Segel erfaßt die Personen seines Spiels in einer Situation, in der äußere Bewegung, vordergründige dramatische Aktion zurücktreten. So genau die äußeren Umstände skizziert sind (Schuras Moskauer Wohnung mit den unterschiedlichen Mietern), sie bilden doch nur den Hintergrund des Geschehens, das weitgehend in die Personen verlagert ist. Segel lauscht in die Personen hinein, er erfaßt die Bewegung in den Menschen. Daß das nicht auf Kosten sozialer Konkretheit geht, macht den Wert der Geschichte aus, denn trotz aller Beschränkung, bei aller künstlerischen Ökonomie stößt das Hörspiel zu großen, bewegenden Problemen vor: Hier sind zwei junge Menschen - so wird uns berichtet-, die vielleicht am Beginn einer tiefen, fortwirkenden Beziehung standen. Aber der Krieg, der so vieles abgebrochen, zerstört und vernichtet hat, hat eine Möglichkeit ausgelöscht, ehe sie überprüft werden konnte. So liegt über Mischas letztem Anruf zwar keine Tragik, aber ein Hauch von Traurigkeit, der nicht wegzuwischen ist.
ICH ESSE EINEN SÜSSEN APFEL - das sei abschließend gesagt -demonstriert die einzelnen Elemente, aus denen jedes Hörspiel auf gebaut ist, in anschaulicher Weise. Obenan steht der poetische Text: das Wort. Es hat - im Vergleich zu Film und Fernsehen - dominierende Funktion. - Zu ihm tritt die menschliche Stimme, die unverwechselbare Individualität des Darstellers. (Was wäre Olessja ohne die nuancenreiche und wandlungsfähige Stimme Jutta Wachowiaks!) -In vielfältiger Funktion erscheinen Musik (hier nicht vertreten) und Geräusch. - Zur szenischen Orientierung dient der Raumklang (aus dem sich die Phantasie des Hörers die im Stück benannten Räume ;,aufbaut"). - Unverzichtbar für den Rhythmus des Werkes ist die kunstvoll genutzte Pause, die Stille.. In Bormanns Inszenierung gibt es dafür zwei instruktive Beispiele: Zweimal ist Schuras Schweigen am anderen Ende der Leitung so überdehnt, daß der Hörer mit Mischa bangt, sie könne aufgelegt haben. - Zu den hörspielspezifischen Möglichkeiten gehören schließlich die radiophonischen Effekte (etwa Schuras Telefonstimme, die sich übrigens in dem Maße dem Normalton nähert, wie das technische Vehikel in Vergessenheit gerät.)
Was zu Segels Hörspiel gesagt wurde, gilt in vielem auch für Gerhard Rentzschs IN DER GALERIE und für Erich Schlossareks DIE AUSHILFSHOCHZEIT. Beiden Autoren geht es um das „Verbundsystem” zwischen Gegenwart und naher Vergangenheit. Beide wählen Situationen, in denen Vergangenes - anekdotisch zugespitzt -gegenwärtiges Nachdenken und gegenwärtige Entscheidung bestimmt: Nicht die Wiedergabe dessen, was damals geschah, füllt die Szene, sondern das Gespräch über das, was als Problem aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragt und heute eine Antwort verlangt. Der „Trend zur Problemerörterung'’, den Gerhard Rentzsch einmal als Grundzug des Hörspiels definiert hat, tritt deutlich zutage. - Gerhard Rentzsch geht der Frage nach, wie und wo unser erlerntes Geschichtswissen sich als erworbene Haltung zur Geschichte zu äußern vermag, wo bloßes Erlernen in die Aneignung der Vergangenheit umschlägt und an welchem Punkt - darüber wird kein Zweifel gelassen - das Erlernte gegenüber dem eigenen Erleben versagt. Rentzsch entläßt den Hörer mit einer Frage, auf die es keine abschließende, generalisierende Antwort gibt (und eben deshalb ist es notwendig, daß die Kunst sich hier zu Worte meldet).
Erich Schlossarek geht von einer Episode aus, die für die Zeit des antifaschistischen Widerstandskampf wiederholt verbürgt ist. Auch hier aber ist das heutige Gespräch entscheidend: Der Partner und Kampfgefährte von damals wird - mit seiner Biographie, mit seinen jetzigen Anschauungen und Ansprüchen - an dem gemessen, was er damals geleistet hat. Der Besucher aus der ÖSSR will wissen: Was war das für eine, die ich damals im Auftrag der Partei geheiratet habe? Was ist aus ihr geworden? Mit psychologischem Einfühlungsvermögen - unterstützt durch die Darstellungskunst Bowes und der Legal - zeichnet Erich Schlossarek das Doppelporträtzweier alter Menschen, die durchaus nicht selbstzufrieden auf ihr Leben zurückschauen. Umwege, Enttäuschungen, auch Verhärtungen kommen zur Sprache, ohne daß dabei eine der beiden Figuren beschädigt würde: Was sie damals, vor fast vierzig Jahren geleistet haben, erscheint auch heute glaubhaft und konsequent.
Kurzhörspiele wie die hier vorgestellten nehmen im Programm unseres Rundfunks seit 1970 immer breiteren Raum ein. Sie sind aus einem aktuellen Bedürfnis entstanden und entsprechen dem Wunsch vieler Hörer. Während nämlich das „große”, abendfüllende Hörspiel an feste, über lange Zeit unveränderte Sendetermine gebunden ist, findet das Kurzhörspiel seinen Platz zunehmend in Magazinsendungen, im Nachmittags- und Nachtprogramm. Das „kleine” Hörspiel wendet sich also ausdrücklich nicht nur an den Hörer, der sich vorsätzlich und gezielt in das Programm einschaltet, es will vielmehr auch den zum Aufhorchen bringen, der funkdramatische Sendungen sonst nicht verfolgt. Oft sind diese MOMENTAUFNAHMEN - so unser Sammeltitel für diese kurzen, oft nur zehn Minuten dauernden Hörspiel-Miniaturen - an aktuelle gesellschaftliche Ereignisse gebunden. So entstand Schlossareks AUSHILFSHOCHZEIT im Frühsommer 1975 als Beitrag zu einer Reihe, die dem 30. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus gewidmet war.
Die Zustimmung zu diesen Kurzspielen war so groß, daß sich Hörer angeregt fühlten, selbst kurze Szenen zu schreiben und an den Rundfunk zu schicken. Daraus entstand 1972 ein Wettbewerb um KURZHÖRSPIELE VON HÖRERN, zu dem mehr als 900 Beiträge eingingen, von denen etwa 40 gesendet wurden. Zu ihnen gehört Gerhard Dallmanns ... DASS ICH VERSTANDEN WERDE, eine knapp und genau erzählte Episode, deren „Moral” keiner Erklärung bedarf. Wie den meisten Hörer-Autoren ist es Dallmann nicht um eine besonders originelle, kunstvolle Form zu tun, sondern um ein Anliegen, das gradlinig verfolgt wird. Der Autor will zur Diskussion um ein Problem herausfordern, das viele Kinder und Jugendliche beschäftigt. Kurzhörspiele sind empfindlich: gegen Dilletantismus, gegen agitatorischen Mißbrauch und gegen Vereinfachung. Sie sind das Leichte, das schwer zu machen ist, vergleichbar der Kurzgeschichte, für die Ähnliches gilt. Kurzhörspiele kommen dem Hörer entgegen: Sie erleichtern den Zugang zu den vielfältigen Formen der Funkdramatik und wecken den Spaß am Zuhören.
Dr. Peter Gugisch
Als Unterrichtsmittel zugelassen durch das Ministerium für Volksbildung der DDR, Hauptverwaltung Unterrichtsmittel und Schulversorgung. Entwickelt von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, Institut für Unterrichtsmittel
Tonregie: Karl Hans Rockstedt
Grafische Gestaltung: Isa Salomon
Redaktion: Dr. Horst Dahm
Artikelnummer | Schola 8 70 035 |
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Produktname | Hörspiele 1 |
Preis | 24,90 € |
Lieferzeit | Im Schallplattenladen Stralsund |
Interpret | Various |
Name - Titel | Hörspiele 1 |
Label | Andere |
Medientyp | LP / Vinyl 12" |
Vinylgewicht pro Schallplatte | 140 gramm |
Anzahl der Platten | 1 |
Beilagen | Keine |
Release-Datum | 1976 |
Allgemeiner Plattenzustand | Gebraucht |
Zustand Tonträger | Very Good + (Sehr gut) |
Zustand Cover | Very Good + (Sehr gut) |
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